Was würde Wittgenstein sagen?

Minderwertigkeitskomplexe und kollektiver Rausschmiss: Ein Abend bei der German Society.

Der Stammtisch der German Society, Mittwochabend um 20 Uhr, The Hopbine Pub. So steht es auf unserer Einladung. Nach einem strammen Marsch, das angefrorene Supermarkt-Sandwich gerade noch fertig gekaut, stehen wir um fünf vor acht atemlos und knallrot vor dem besagten Pub – pünktlich, Hauptsache pünktlich sein. Die Tatsache unserer Überkorrektheit outet uns direkt als Deutsche. „Kommt ihr heute auch zum Stammtisch“, fragt uns ein junger Mann mit halbvollem Mund. Auch er hatte die Pünktlichkeit einem gediegenen Dinner vorab vorgezogen.

Geplant ist ein Abend unter Gleichgesinnten, doch schon bald löst sich diese Illusion auf. Da sitzen wir bei unserem ersten Humpen Löwenbräu (und ja, es kam frisch vom Fass), noch klar im Kopf und trotzdem fühlen wir uns neben der Cambridge-Elite etwas, naja, sagen wir es frei heraus: unterbelichtet. Bald schon ist die Spitze des Schamgefühls erreicht. Vertrauensvoll beugen wir uns zu einem der Society-Mitglieder: „Du, irre, der da hinten… nein, nicht hinschauen… also der dahinten ist erst 23 und steckt schon mitten im PhD.“ Der Nachbar runzelt kurz die Stirn, ehe er zurückgibt: „Ich bin auch im PhD und werde morgen 21.“ – OKAY…! Anfängerfehler. Ab jetzt möglichst seriös wirken und vielleicht ein bisschen weniger „cool“ und „krass“ verwenden. Wie würde es Wittgenstein wohl sagen?

Nach und nach gesellen sich weitere sympathische Übermenschen an den Tisch, um die 30 zur Hochphase, neben der deutschen Mehrheit auch ein paar Engländer. Es wird Deutsch gesprochen, und auch ein bisschen über Deutschland.


Unsere Autorinnen Madeline Dangmann (re.) und Josephine Günther mit dem Präsidenten der German Society.

Die German Society ist der drittgrößte Verein unter den „foreign groups“ in Cambridge – nach den Chinesen und Amerikanern. Alle zwei Wochen wird gepflegt zusammengesessen und gepflegt zusammen gesoffen. Ansonsten gibt es Filmvorführungen, formelle Dinner, ein Oktoberfest und natürlich ausgesucht exklusive Events: ein Abend mit Gregor Gysi und viele Abende mit den prestigeträchtigen Sponsoren des Clubs: McKinsey&Company, Axel Springer, The Boston Consulting Group…. Da steht dann das Recruiting an, auf dass sich die 15 Pfund für eine lebenslange Mitgliedschaft im Club auch auszahlen.

Wir investieren unser Geld dann lieber in ein paar Biere mehr. Der Rest der Stammtischrunde setzt auf die gleiche Kapitalanlage, womit das Niveau langsam sinkt – unser Ansehen jedoch steigt. Vollends auf einer Höhe angekommen, fühlen wir uns, als eine spritzige Österreicherin zu uns stößt. Bei einer gemeinsamen Kippe, was ein besonderes Erlebnis darstellt, da hier gefühlt nur drei Personen rauchen, erzählt uns die Jura-Doktorandin von einem Pub-Quiz, bei dem auch sie sich völlig blamiert fühlte. Auslöser war die Frage nach dem Namen einer Person, die sich auf einem Gemälde des 17. Jahrhunderts in der Mitte einer Fünfer-Gruppe befindet. Nicht auszumalen, würde es solch ein Quiz an diesem Abend geben. Mit Sicherheit würden wir nicht drumherum kommen, die Antworten zu googeln – und das hätte wohl den Rausschmiss bedeutet. So denken wir noch, bevor wir dann kollektiv rausgeschmissen werden, weil die durch und durch britische, pünktlich überfrühe Schließzeit des Pubs zuschlägt.

 

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