Rudi Dutschke versus Harry Potter

Bekenntnisse eines linken Hogwarts Fans

Ich studiere in dem unpatriotischsten Land dieser Welt, komme aus einer linken Stadt und bin an einer extrem linken Universität sozialisiert worden (FU Berlin, Rudi Dutschke, you know). Das bedeutet: Ich wurde darauf gepolt, jede Art von Tradition und Hierarchie misstrauisch zu beäugen, besser noch bitter zu bekämpfen.

Gleichzeitig bin ich aber auch Kind der Harry-Potter-Generation. Der romantische Teil von mir wollte in einer uralten Burg mit lauter verwinkelten Korridoren zur Schule gehen, mit einem schwarzen, wallenden Umhang um den Schultern in altehrwürdigen Hallen speisen und auf prächtigen Bällen tanzen. Dieser Teil sehnt sich noch heute, inmitten des sterilen deutschen Bildungsbetriebs, manchmal nach ein bisschen mehr Prestige, Flair und Zugehörigkeitsgefühl im Uni-Leben.

Das, was der Rowling’schen Zaubererschule Hogwarts in unserer Welt am nächsten kommt, sind wohl die beiden Universitäten Oxford und Cambridge (nicht zuletzt, weil Teile der Potter-Verfilmungen in Oxford entstanden. Wo war da eigentlich Cambridge?). Jetzt, wo ich das Privileg habe, einmal in diesen romantisch-akademischen Kosmos einzutauchen, ist mein innerer Zauberlehrling entzückt. Der Rest steckt im Zwiespalt.

Unsere Autorin ist nicht die Einzige, die Cambridge mit Harry Potter assoziiert: In diesem Fanshop kann man ales kaufen, was das Zaubererherz begehrt.
Unsere Autorin ist nicht die Einzige, die in Cambridge ihren inneren Harry Potter entdeckt: In diesem Fanshop kann man alles kaufen, was das Zaubererherz begehrt.

Redet man mit Cambridger Freshmen, blickt man in die strahlenden Augen von sehr ehrgeizigen Über-Jugendlichen. Sie erzählen von „der Familie“, die das College für sie darstellt, wie großartig die Gemeinschaft sei, wie inspirierend der ewige Wettkampf untereinander. Elitismus ist hier Lifestyle. Und ich schwanke zwischen Ehrfurcht, Faszination und Befremden angesichts der Regeln, die diesen Lifestyle ausmachen: die Notwendigkeit einer Garderobe, die zu diversen förmlichen Anlässen zig verschiedene Dresscodes abdecken muss. Jede zweite Woche die Abgabe von mindestens drei Essays (die Themen sind meist vorgegeben), und ein persönlicher Supervisor, der den akademischen Werdegang Orwell-like überwacht. Dazu beinharte Ruderkämpfe und ritualisiert anmutende Alkoholexzesse, die irgendwie nicht spaßig, sondern vulgär klingen. Permanente Anwesenheitspflicht und Kontrolle, eine verkrustete Hierarchie. Mein OSI-Gewissen krümmt sich schmerzhaft zusammen. Aber ich finde diese gotischen Colleges so hübsch!

Will man als Student in einem der großen Speisesäale zu Abend essen, so muss man an 99 Prozent der Colleges brav vor seinem Stuhl stehen bleiben, bis die Lehrenden den Saal betreten haben. Erst wenn sie Platz genommen haben, dürfen sich die Studenten setzen. Erst wenn sie beginnen zu essen, dürfen die Studenten loslegen. „FLUCHT!“, brüllt Rudi Dutschke in meinem Hinterkopf.

Wird eine Studentin am Frauen-College Murray Edwards aufgenommen, muss sie ein feierliches Gelübde unterschreiben, eine gute Studentin zu sein. Finde ich ok. Betritt sie dann die von einer Kuppel gekrönten Speisehalle ihres Colleges zum ersten Mal, schießt ein riesiger Tisch voller Süßspeisen aus dem Boden. Finde ich absolut beneidenswert. Dann wiederum erzählt mir jemand, dass ein Student, dessen Talar etwas abgewetzt aussah, weil er sich nur ein gebrauchtes Exemplar leisten konnte, nicht an einem Formal-Hall-Dinner teilnehmen durfte. „Das ist der Staub des britischen Empires!“, fauchen die Stimmen in meinem Kopf. „Blas ihn weg! Blas ihn weeeeg!“ Ok! Ok!

Ich habe gehört, dass das King’s College wesentlich linker sein soll als der Rest. Hier muss man nicht mit dem Essen warten bis der Prof zur Gabel gegriffen hat. Hier könnte ich mich durchaus wohl fühlen. Es sieht von allen Colleges auch am meisten wie Hogwarts aus.

 

Foto: Aurelien Guichard/flickr

2 Comments

  1. Katharina Karcher

    Liebe Morgane – Wusstest Du das Rudi Dutschke eine Zeit lang in Cambridge gelebt hat? Er wollte dort seinen Doktor machen, wurde dann aber als ‚threat to national security‘ des Landes verwiesen – also ist daraus nichts geworden. Mein neues Forschungsprojekt befasst sich mit sienem Exil in England. Melde Dich gern mal, wenn Du mehr ueber Rudi Dutschkes Erfahrungen in Cambridge erfahren willst.

  2. Liebe Morgane – zu einer Zeit, als es für Rudi und Gretchen Dutschke in Deustchalnd nicht möglich war frei zu arbeiten, fanden sie immerhin für einige Zeit Exil in Cambridge!
    Katharina Karcher hat ein sehr interessantes Treffen (und Wiedersehen) mit Gretchen Dutschke Klotz im Mai hier in Cambridge organisiert. Sie ist die beste Quelle für Informationen dazu!

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